Nach drohender Energiemangellage im Winter 2022/2023 hat der Bund eine Stromreserve eingeführt. Diese Massnahme wurde erfolgreich in kürzester Zeit realisiert und wird auch weiterhin Bestand haben. In diesem Artikel geben wir einen Überblick über die Reserve und zeigen auf, wie Eraneos bei der Umsetzung unterstützt hat.
Zusammenfassung
- Aufgrund des Ukrainekriegs, Ausserbetriebnahme französischer Atomkraftwerke und weiterer Faktoren wurde im Winter 2022/2023 eine Energiemangellage befürchtet.
- Im Verlauf des Jahres 2022 hat der Bund eine Stromreserve geschaffen. Diese stand mit einer Wasserkraftreserve nach sehr knapper Umsetzungszeit pünktlich für den Winter 2022/2023 bereit. Später wurde die Stromreserve um Reservekraftwerke und Notstromgruppen erweitert.
- Die Stromreserve wurde im Frühjahr 2024 erfolgreich zu Testzwecken aktiviert.
- Eraneos hat bei der Umsetzung der Stromreserve sowie der Konzeption und Durchführung der Tests unterstützt.
- Die Stromreserve bleibt weiterhin bestehen. Dazu soll sie gesetzlich verankert werden und der Bund schreibt neue Reservekraftwerke aus, die in einigen wenigen Jahren die Bestehenden ablösen sollen.
Drohende Energiemangellage
Für den Winter 2022/2023 zeichnete sich in Europa ein erhöhtes Risiko einer Energiemangellage ab. Auslöser dafür war eine Kombination unterschiedlicher Faktoren. Der im Frühling 2022 ausgebrochene Ukrainekrieg wirkte sich wegen internationalen Sanktionen auf russisches Gas negativ auf die Gasversorgung Europas aus. Gleichzeitig war eine Rekordanzahl Atomkraftwerke in Frankreich, mehrheitlich wegen Wartungsarbeiten, ausser Betrieb. Dies hatte Unsicherheiten bezüglich der Stromversorgung der Schweiz und Europas im Winter zur Folge. Zudem kamen weitere kleinere Treiber, wie beispielsweise der trockene Winter 2021/2022 und Sommer 2022, die zu tiefen Speicherseefüllständen führten. In Kombination mit der Abhängigkeit des Stroms vom Energieträger Gas hegten diese Faktoren die Befürchtungen, dass im Winter die Versorgungssicherheit gefährdet war. Das Risiko einer Strommangellage war zu diesem Zeitpunkt nicht neu: In den Berichten zur nationalen Risikoanalyse des Bundesamts für Bevölkerungsschutz von 2015¹ und 2025² wurde dieses aufgrund seiner Eintrittswahrscheinlichkeit von einmal alle circa 30 Jahren und aggregiertem Schaden von mehreren 100 Mia CHF als eines der Top-Risiken erkannt. Es hat sich während des Jahres 2022 aber stark zugespitzt.
Schaffung einer Stromreserve
Der Bund hat auf die drohende Energiemangellage reagiert und im Verlauf des Jahres 2022 eine Wasserkraftreserve zur Absicherung gegen Knappheitssituationen in der Stromversorgung ins Leben gerufen. Mit der Wasserkraftreserve wird durch Ausschreibungen Wasser in Schweizer Stauseen beschafft. Dieses Wasser steht anschliessend nicht mehr den Betreibern zur Verfügung, sondern muss während vordefinierten Wintermonaten (maximal Dezember bis Mai) als Reserve zurückbehalten werden³. Wenn auf dem schweizerischen Strommarkt für den Folgetag (SPOT Day-ahead Markt) die Nachfrage das Angebot übersteigt, kann auf diese Reserve zurückgegriffen werden⁴. Im Januar 2023 wurde die Wasserkraftreserve um thermische Kraftwerke zur Sicherstellung zusätzlicher Stromproduktion (Reservekraftwerke) und die Möglichkeit mit bestehenden Notstromaggregaten ins Netz einzuspeisen erweitert⁵. Durch diese Erweiterung wurde nicht nur wie bei der Wasserkraftreserve Energie beschafft, sondern auch zusätzliche Leistung (Zielgrösse ist zusätzlich 1000 Megawatt). Damit wurde die Stromreserve in der heutigen Form, und wie sie bereits ab Winter 2022/2023 zur Verfügung stehen sollte, geschaffen.
Vor diesem Hintergrund mussten alle an der Stromreserve beteiligten Partner innert kürzester Zeit neue Prozesse aufbauen. Dies geschah unter der Federführung der nationalen Netzgesellschafft Swissgrid, die mit der operativen Abwicklung der Stromreserve beauftragt wurde, und dem Bundesamt für Energie. Ende Oktober 2022 hat Swissgrid zusammen mit den Partnern die Beschaffung der Wasserkraftreserve für den Winter 2022/2023 abgeschlossen. Ab 1. Dezember 2022 stand die Reserve von 400 Gigawattstunden pünktlich bereit.⁶
Eine so rasche Implementierung der Stromreserve war durch eine sehr effiziente Umsetzung eines Grundgerüsts und anschliessender Erweiterung möglich. Eraneos durfte ab Spätherbst 2022 in unterschiedlichen Rollen Swissgrid in der Umsetzung unterstützen und konnte ab Frühjahr 2023 insbesondere die Stabilisierung und Erweiterung der Prozesse im bestehenden IT-System von Swissgrid vorantreiben. Dazu gehört auch die Implementierung der Optimierung potenzieller Abrufe als Kernstück des Abrufprozesses der Stromreserve.
Kosten der Reserve und nachgewiesene Bereitschaft
Es war Frühjahr 2023, als die Auswirkungen der Stromreserve der Öffentlichkeit bekannt wurden: Swissgrid hat die Einführung einer neuen Tarifposition von 1.20 Rappen pro Kilowattstunde ab 2024 bekanntgegeben⁷. Zusammen mit den ohnehin schon gestiegenen Energiekosten, die ebenfalls ab 2024 über die Stromtarife den Stromkonsumierenden überwälzt werden, macht dies eine erhebliche Mehrbelastung der Schweizer Stromkonsumierenden in der Grundversorgung von 4.94 Rappen pro Kilowattstunde (+18 %) im Mittel (Median) aus⁸.
Umso wichtiger erscheint es aufzuzeigen, dass die Reserve im Ernstfall einsatzbereit ist. So wurde parallel zur Erweiterung und Finalisierung der Prozesse der Stromreserve ab Sommer 2023 ein vollumfänglicher Test geplant und vorbereitet. Im Herbst 2023 konnten bei der erstmaligen Durchführung eines Trockenlaufs dieses Tests wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Die zeitkritischen Abrufprozesse haben zwar funktioniert, aber so musste beispielsweise der nachträgliche Abgleich der Energiefahrpläne (Post-scheduling) überarbeitet werden. Beim nachfolgenden Test mit effektiver Energieproduktion im Februar 2024 hat die Aktivierung der Reserve einwandfrei funktioniert. Sowohl bei der Konzeption, als auch bei der Durchführung dieses Tests, durfte Eraneos Swissgrid massgeblich unterstützen. Damit konnten wir einen wichtigen Beitrag zur Bereitschaft der Stromreserve und damit nicht zuletzt zur Versorgungssicherheit der Schweiz leisten.
Fortbestand der Stromreserve
Neben den bereits erwähnten nationalen Risikoanalysen, hat auch die Eidgenössische Elektrizitätskommission eine mögliche Stromknappheit während künftiger Winterhalbjahre bereits 2021 und damit vor der oben beschriebenen Situation im Winter 2022/2023 erkannt⁹. Diese Erkenntnis hat sich nicht verändert und daher bleibt die neu errichtete Stromreserve weiterhin bestehen. Mit dem neuen Stromversorgungsgesetz («Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» auch bekannt als «Mantelerlass», siehe¹⁰) und einer weiteren fast parallel dazu laufenden Revision des Stromversorgungsgesetzes (siehe¹¹) wollen Bundesrat und Parlament daher die gesetzliche Verankerung der Stromreserve verbessern. Mit dem Mantelerlass werden auch einige Anpassungen an der Reserve vorgenommen. Die wohl wesentlichste Anpassung ist der Paradigmenwechsel von einer marktbasierten Beschaffung der Wasserkraftreserve in Form von Ausschreibungen hin zu einer Pflichtvorhaltung. Das Volk wird aufgrund eines Referendums anfangs Juni 2024 über den Mantelerlass entscheiden. Falls das Gesetz angenommen wird, ist ein Inkrafttreten ab 01.01.2025 und damit bereits für kommenden Winter vorgesehen. Es ist davon auszugehen, dass diese kurze Umsetzungsfrist diverse Akteure im Bereich der Stromversorgung vor Herausforderungen stellen wird, unabhängig von Änderungen bei der Stromreserve.
Eine weitere deutliche Stärkung der Stromreserve hat das Bundesamt für Energie zudem schon im Sommer 2023 mit der Ausschreibung neuer thermischer Reservekraftwerke vorgenommen. Diese Ausschreibung soll die initial abgeschlossenen Verträge für Reservekraftwerke, die im Frühling 2026 auslaufen, ablösen¹². Neben den bereits jetzt kontrahierten Reservekraftwerken haben sich auch neue Akteure gemeldet. Die Anbieter haben zum Teil auch neue, noch zu bauende, Kraftwerke angeboten. Es wird erwartet, dass die Zuschläge der Ausschreibung im Sommer 2024 bekannt gegeben werden. Insbesondere für neue Akteure und noch zu errichtende Kraftwerke steht ab Zuschlagserteilung mit der Anbindung an die branchenspezifischen Systeme, beziehungsweise der Errichtung und Bewilligung eines Kraftwerks, viel Arbeit an. Für einen nahtlosen Übergang bis im Winter 2026/2027 ist die Umsetzungszeit wiederum sehr knapp. Es bleibt zu hoffen, dass die Zeit reicht, um eine langfristig beständige und energetisch sowie umwelttechnisch effiziente Lösung aufzubauen.
Referenzen
¹ BABS, «Katastrophen und Notlagen Schweiz 2015» 2015.
² BABS, «Bericht zur nationalen Risikoanalyse 2020» 2020.
³ «Bundesrat setzt Verordnung zur Wasserkraftreserve in Kraft» 7. Juli 2022.
⁴ «Verordnung über die Errichtung einer Stromreserve für den Winter (Winterreserveverordnung, WResV)» 1. Februar 2024.
⁵ «Energie: Bundesrat setzt Winterreserveverordnung in Kraft» 25. Januar 2023.
⁶ «Die Beschaffung der Wasserkraftreserve für kommenden Winter ist erfolgt» 22. Oktober 2022.
⁷ «Tarife für das Übertragungsnetz 2024» 22. März 2023.
⁸ «Weiter steigende Strompreise 2024» 5. September 2023.
⁹ ElCom, «Konzept Spitzenlast-Gaskraftwerk zur Sicherstellung der Netzsicherheit in ausserordentlichen Notsituationen» 30. November, 2021.
¹⁰ «Vorlage für eine sichere Stromversorgung: Abstimmung am 9. Juni 2024»
¹¹ «Bundesrat will Stromreserve gesetzlich verankern» 1. März 2024
¹² «Energie: Erste Ausschreibung für Reservekraftwerke nach 2026 gestartet» 28. Juli 2023.
Schmuel Holles
Partner
Energie- & Versorgungsunternehmen
schmuel.holles@eraneos.com +41 58 411 95 63 LinkedIn